
ES11 * REPORT
Heute nachmittag hat der Schweriner KC gegen Benfica Lissabon in einem atemberaubenden Spiel mit 14 zu 13 gewonnen und steht im Finale des diesjährigen EuropaShield. Das Team wollte die desolate Leistung gegen Nottingham vergessen machen und das gelang mit Bravour. Was alles vor diesem Spiel ergebnisabhängig möglich gewesen wäre, erfahrt ihr hier…
Die Stimmung war schon ziemlich mies nach der Niederlage gegen Nottingham. Nicht, dass wir verloren hatten, das gehört im Sport dazu, aber die Art und Weise wie diese Niederlage zustande kam, war mehr als enttäuschend. In der Mannschaft ging schon die Nachricht um: „spielen wir eben um Platz 5 und 6“. Weit gefehlt. Im Spiel Warschau gegen Nottingham gab es eine Riesenüberraschung. Warschau hatte gegen uns bekanntlich 6:14 verloren, Benfica schickte den Gastgeber sogar mit 5:19 in die Kabinen. Da dachten die Führenden der englischen Korfballliga: „schlagen wir Warschau mal mit unserer 2. Mannschaft“ und ließen die Leistungsgaranten Ben King, Joe Bedford und Natasha Dawson auf der Bank. Warschau machte ein gutes Spiel und blieb immer mit einem Korb Differenz an Nottingham dran. Nach 15 Minuten wurden die Engländer so nervös, dass sie begannen, ihre „Bank“ einzuwechseln. Dass Emotion ungeahnte Kräfte freisetzen kann, bewiesen die Spieler aus der polnischen Hauptstadt. Als Warschau in Führung ging, fingen wir mit unserer Trommel an, dies zu unterstützen. Warschau hatte wenige Fans, aber weil wir jeden Treffer der Polen bejubelten, machten wir das Spiel zu einem echten Heimspiel für MegsSports Warschau. Die Schweriner Farben rot und weiß passen prima zu den polnischen. Warschau gewann und Nottingham hatte ( wie Schwerin ) jetzt drei Punkte!! Als ich zum Spiel gegen Lissabon auf unsere Bank kam, wurde diese Rechnung aufgemacht: Gewinnen wir gegen Lissabon sind wir im Finale. ( Hää? ) Ok, dann hätten Lissabon und Schwerin beide 6 Punkte und wir hätten den direktren Vergleich gewonnen. Prima, aber erst mal gewinnen. Benfica ist Titelverteidiger! Spielen wir unentschieden, wird sofort durch golden Goal entschieden. Dann erhält der Sieger 2 Punkte, der Verlierer einen Punkt. Dann wäre, egal ob wir einen oder zwei Punkte bekommen hätten, Lissabon im Finale und wir würden um Platz 3 und 4 spielen. Verlieren wir mit weniger als 5 Körben Differenz spielen wir um Platz 5 und 6, verlieren wir mit mehr als 5 Körben Differenz sind wir Gruppenletzter und spielen um die „goldene Ananas“ auf Platz 7 oder 8. Das konnte die Mannschaft übrigens aus Zeitgründen nicht wissen (der Capitän war eingeweiht), weil diese Theorien wahrscheinlich zuviel „zwischen die Ohren“ ( :-) ) in Bewegung gesetzt hätte. Für Martin gab es nur eins: Jetzt muss ein Sieg her, egal wie. Und der Sieg kam. Ich sage Euch jetzt wie: Die Nachmittagssonne senkte sich schon im kalten polnischen Winter in Richtung Weichselufer, als die Mannschaften einliefen. Hätte man einen Fan gefragt, welche Tageszeit denn gerade herrschen würde, es hätte sowieso keiner gewusst. Die Spannung war riesig. Unsere Startaufstellung: Benedikt Edeler, Anna Schulte, Susanne Alberts, Julian Schittkowski (C), und Verena Zappe, Karen Fuchs, Lukas Edeler und Stefan Halberstadt. Das Spiel war gerade mal 12 Sekunden alt, als Susanne Alberts den Ball zum ersten Mal in der portugiesischen Kunststoffreuse versenke. Nach fünf Minuten erhöht Susanne auf 2:0, kurze Zeit später verursacht Julian einen Strafwurf gegen uns, aber die Portugiesen verwerfen. Glück gehabt. Das Schweriner Spiel hat sich gegenüber der letzten Partie um 180 Grad gewendet. Da ist jetzt Tempo drin, da ist Kraft drin, die Pässe kommen an. Verena Zappe wirft aus der Distanz und der blaugelbe Ball senkt sich wie die Sonne in die Weichsel in den gegnerischen Korb. Das sind die Momente, die sofort ein gutes Gefühl vermitteln. Mal mit drei vor. Endlich. Strafwurf für uns: Stefan verwandelt zum 4:0. Lissabon wird nervös und beginnt etwas agressiver zu spielen. Der belgische Unparteiische hat die Partie aber sicher im Griff. Schwerin „schwächelt“ nur 5 Minuten und Benfica haut uns drei Körbe rein. Ich habe schon Angst um die Wasserflasche, die vor Martin steht, der Schweiß steht ihm auf der Stirn. Ärgerlich, diesen schönen Vorsprung aus der Hand zu geben, als Karen den 5. Schweriner Treffer markiert. Dazu kommen einige Abspielfehler auf unserer Seite, einige Schweriner scheinen ein wenig übermotiviert zu sein. Immer wieder muss Martin zur Ruhe mahnen. Wir „verspielen“ einen Strafwurf! Die aggressive Spielweise ( wird Benfica nervös?) unterbindet der Schiedsrichter sofort. Dennoch gelingt der Ausgleich und kurz vor Seitenwechserl geht Lissabon sogar in Führung. Schon 4 vor gehabt und jetzt 6:7 hinten. Wir atmen auf, als zur Halbzeit gepfiffen wurde. Die zweite Hälfte begann, wie die erste endete: Korb für Lissabon, 2 vor!! Achtung, es wird gefährlich. Das Spiel ist zum offenen Schlagabtausch geworden. Verena und Karen gleichen aus. Benfica darf noch einmal in Führung gehen, aber nach dem 8:9 für Lissabon war’s das dann. Natürlich wussten wir das zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das Spiel wird jetzt nur noch mit einem Korb Differenz gestaltet. Die Grenze zwischen Finalteilnahme und Niederlage (die sich dann wie Abstieg anfühlt) ist ziemlich dünn. Die Halle tobt, längst haben auch alle anderen Mannschaften die Brisanz dieses Ergebnisses erfasst. Die Schweriner Fans hält es schon lange nicht mehr auf den Sitzen, man könnte an Karneval in Rio erinnert werden. Ich sehe nur noch rot und weiß. Die Trommeln müssen wieder einmal dran glauben! Die Stimmung knistert. Schwerin führt. Neun Minuten vor Schluss erhöht Susanne auf 12:10. Neun Minuten sind lang. Lissabon kann wieder ausgleichen. Es ist zum heulen. Susanne verwirft einen Strafwurf. Da könnte man noch mehr heulen. Anna gelingt die erneute Schweriner Führung, noch vier Minuten, Benfica gleicht noch einmal aus, als Stefan 1:56 Min. vor Schluss den Siegtreffer markiert. Habt ihr schon mal „gefühlt“, wie lange 116 Sekunden sein können? Und die Shotclock spult unaufhaltsam die Sekunden zurück. Ball halten und doch den Korb berühren ist die Aufgabe, ja keinen Ballverlust riskieren. Als noch 35 Sekunden zu spielen sind und die Shotclock auf „25“ steht glaube ich zum ersten Mal richtig an die Sensation. Der Ball blieb in unserer Hand und als die Hauptuhr die Restspielzeit mit 0.00 anzeigte, jubelte das Team, als wenn es bereits das Endspiel gewonnen hätte. Fans lagen sich in den Armen, wir klatschten uns mit den polnischen ab. Der Jubel kannte keine Grenzen. Als die Spannung abfiel, liefen Tränen. Das war der Wahnsinn, welch eine Wendung in diesem Turnier. Der Schlusskommentar von Martin Kamphuis mit einem Abstand von 15 Minuten, die alle brauchten, um wieder „runter zu kommen“: „Was soll man sagen? Die Euphorie ist groß. Wir haben jetzt richtig gut gespielt. Wir gingen vier vor, und wie wir spielen wollten, haben wir dann auch gespielt. Ruhig, nicht hektisch. Dann sieht man, dass wir auch gegen ganz starke Gegner wie Benfica eine Chance hat. In einem Turnier braucht man auch Glück. Wir sind im Finale. Finale! Unglaublich.“ Während wir dieses Interview machen skandieren die Spieler und die Fans zum xigsten Mal: „Finale, Finale, Finale.“ Unser Finalgegner heißt übrigens Valparadis KV und ist der katalonische Vertreter. Nach dem Abendessen um 19.30 Uhr wird Valparadis im Konferenzraum analysiert. Wir haben die Spiele auf Band. Die Spannung geht weiter. Morgen mehr. Sporthalle OSIR Okecie, Warschau/Polen, 29.1.2011 Jochen Schittkowski
Quelle: S 1-Report | Autor: Jochen Schittkowski | Veröffentlicht am: 28.01.2011 |